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Wie ich eine auszeit plante, die weder flucht noch fluchtpunkt war

Wie ich eine auszeit plante, die weder flucht noch fluchtpunkt war

Es begann nicht mit einem dramatischen Abbruch oder einer spontanen Flucht. Vielmehr war es das leise Gefühl, dass die Tage wie auf einer geneigten Ebene liefen: kleine Beschleunigungen, mehr Termine, mehr Informationen — und die Gewissheit, dass irgendetwas Abstand brauchte. Ich wollte eine Auszeit planen, die weder Flucht noch Fluchtpunkt sein sollte. Ein Zwischenraum, kein Ende, kein Neubeginn mit großem Pathos. Wie ich das machte, erzähle ich hier.

Warum ich keine Flucht wollte

Flucht klingt heroisch und gleichzeitig resigniert. Sie impliziert, dass man vor etwas davonläuft. Das stimmte nicht für mich. Ich wollte nicht weglaufen vor Arbeit, Beziehungen oder Verantwortung. Was ich suchte, war Klarheit — Zeit, um zu überdenken, neu zu ordnen, ohne alles hinter mir zu lassen. Diese Nuance zu erfassen war der erste Schritt meiner Planung: eine Auszeit als Übung, nicht als Flucht.

Das bedeutet konkret: Ich habe bewusst darauf verzichtet, radikal alles abzusagen. Keine Kündigung, kein Hausverkauf, keine Kündigung von Abonnements oder Social-Media-Kanälen als dramatisches Symbol. Stattdessen habe ich nach Formaten gesucht, die Rückzug ermöglichen, aber mit Möglichkeiten zur Rückkehr.

Die Form finden: Rückzug ohne Abschottung

Viele denken bei Auszeit sofort an eine Hütte im Wald, ein Kloster oder eine einsame Insel. Ich habe solche Optionen geprüft, aber entschieden, einen flexibleren Ansatz zu wählen. Meine Idee war eine Kombination aus:

  • kurzfristig abgeschirmten Tagen (digital detox),
  • geregelten Kontaktfenstern mit Freunden und Familie,
  • einer klaren Struktur für den Tag, die Raum lässt für Nichtstun.

Praktisch bedeutete das: Ich legte mein Smartphone für bestimmte Stunden auf "Nicht stören", beantwortete E-Mails nur zweimal am Tag und setzte klare Zeiten für Spaziergänge, Lesen und Notizen. Das war weder eisernes Schweigen noch völlige Isolation — es war eine Grenzziehung.

Ortwahl: Zwischen Vertrautem und Fremd

Den richtigen Ort zu finden, fühlte sich an wie das Auswählen eines Instruments für ein Stück. Zu vertraut, und die alten Muster übernehmen; zu fremd, und man verliert sich. Ich entschied mich für ein kleines Gästehaus in einer bekannten Landschaft, aber in einer anderen Stadt — genug Abstand, um Routine zu unterbrechen, aber nicht so viel, dass alles fremd wurde.

Technisch gesehen wählte ich einen Ort mit verlässlicher Internetverbindung (ja, ich war nicht bereit für völlige Offline-Existenz) und einer einfachen Küche, weil Kochen für mich meditative Qualität hat. Bücher, eine Kamera (eine kleine Fuji X100V, die sich als wunderbarer Begleiter erwies) und ein Notizbuch von Moleskine waren meine wichtigsten Begleiter.

Tagesstruktur: Zwischen Plan und Zufall

Wenn ich Auszeiten plane, mag ich leichte Routinen. Sie geben Halt, ohne einzuengen. Meine typische Tagesstruktur sah so aus:

  • morgendlicher Spaziergang ohne Ziel — oft mit einer Liste von Dingen, auf die ich achten wollte (Licht, Geräusche, Menschen),
  • eine Stunde Schreiben oder Nachdenken mit der Absicht, nicht zu performen, sondern zu erkunden,
  • Mittagessen, häufig frisch gekocht, manchmal ein Café-Besuch, um Menschen zu beobachten,
  • Nachmittage für Lesen, Fotografieren oder Museumsbesuche, je nach Wetter,
  • Abende mit leichten sozialen Kontakten — ein Anruf, eine Nachricht — und Zeit für Reflexion.

Diese Struktur vermeidet den Alltagsdruck, weil sie nicht auf Produktivität im klassischen Sinn abzielt. Es geht nicht um Output, sondern um Wahrnehmung und innere Ordnung.

Worauf ich verzichtet habe — und warum

Verzichten heißt nicht, sich quälen. Es bedeutet, bewusst Prioritäten zu setzen. Ich verzichtete auf:

  • intensive Nachrichtenkonsumzyklen (kein 24/7-Nachrichten-Feed),
  • Arbeiten an großen Projekten, die Denkzeit erfordern,
  • gesellschaftliche Verpflichtungen, die Energie ziehen ohne tieferen Mehrwert.

Die Lücke, die dadurch entstand, füllte ich mit kleinen, konkreten Handlungen: das In-der-Hand-Halten einer Tasse, das Lesen einer Kurzgeschichte, das Studieren eines Gemäldes. Diese scheinbar banalen Dinge wurden überraschend wichtig.

Wie ich Zweifel begegnete

Dass eine Auszeit nicht Flucht ist, musste ich mir immer wieder selbst sagen. Zweifel kamen in Formen wie «Ist das egoistisch?» oder «Verliere ich Zeit?» Ich begegnete diesen Zweifeln mit drei einfachen Regeln:

  • ich hielt kleinere Verpflichtungen ein, um Verantwortung zu zeigen,
  • ich führte ein kurzes Tagebuch, in dem ich täglich drei Beobachtungen festhielt — das half, den Wert der Zeit zu sehen,
  • ich telefonierte regelmäßig mit einer vertrauten Person, die ehrlich und wohlwollend war.

Diese Routinen halfen, das Fenster der Auszeit zu einem Raum zu machen, der nicht egoistisch, sondern erforderlich für die Balance war.

Was ich gelernt habe — ohne alles in Schönschrift zu gießen

Die Auszeit brachte kein Erleuchtungserlebnis, aber sie veränderte Nuancen. Einige Dinge, die ich mitnahm:

  • Die Welt verliert nicht ihre Konturen, wenn man ihr weniger Aufmerksamkeit schenkt. Im Gegenteil: Distanz kann Perspektiven schärfen.
  • Kleine Rituale (frühstücken ohne Bildschirm, fünf Minuten bewusst atmen) haben eine enorme Wirkung auf den Tag.
  • Man kann sich zurückziehen, ohne abzutrennen — klare Absprachen und kleine Kontaktfenster machen das möglich.

Praktische Tipps für Ihre eigene Auszeit

Wenn Sie etwas Ähnliches planen möchten, sind hier einige pragmatische Hinweise, die mir geholfen haben:

  • Definieren Sie das Ziel: Ist es Erholung, Reflexion, Kreativität? Ein klares Ziel hilft bei Entscheidungen.
  • Sukzessive Distanz: Reduzieren Sie digitale Reize schrittweise, anstatt alles auf einen Schlag zu kappen.
  • Wählen Sie den Ort bewusst: Zu viel Fremdheit kann stressen, zu viel Vertrautheit bringt alte Muster zurück.
  • Packen Sie wenige, aber gute Dinge: ein Buch, eine Kamera, ein Notizbuch, bequeme Schuhe.
  • Planen Sie Kontaktfenster: Erreichbarkeit in kleinen Dosen verhindert Schuldgefühle und Isolation.

Beobachtungen, die bleiben

Am Ende dieser Auszeit standen keine dramatischen Entscheidungen. Aber die Welt wirkte etwas klarer: Prioritäten hatten Schärfe gewonnen, manche Verpflichtungen wirkten anders, manche Gespräche wichtiger. Ich bin zurückgekehrt mit der Erkenntnis, dass eine Auszeit kein Fluchtpunkt sein muss — sie kann ein Zwischenraum sein, der das Sehen neu justiert.

Wenn Sie darüber nachdenken, sich ebenfalls eine solche Pause zu gönnen, fragen Sie sich nicht nur, wohin Sie gehen, sondern vor allem, wie Sie dort sein möchten. Das macht den Unterschied zwischen Flucht und absichtsvoller Auszeit.

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